Bildung für nachhaltige Entwicklung. Zehn wirksame Strategien

Prof. Dr. Gerhard de Haan, Prof. Dr. Thomas Hoffmann, Katharina Hauser und Micha Pallesche

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Vortrag Bildung für nachhaltige Entwicklung. Zehn wirksame Strategien (pdf 8,4 MB)

Vortrag Wie können Schulen und Lehrkräfte bei der Konzeptentwicklung für BNE begleitet werden? (pdf 3,6 MB)

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Kurzbericht

Die 44. Veranstaltung von IBBW – Wissenschaft im Dialog (WiD) am 24.06.2025 widmete sich dem Thema „Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)“. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie Schulen komplexe Herausforderungen wie die Verankerung von BNE als Chance für Innovation verstehen und gelingend nachhaltig gestalten können.

Impuls aus der Forschung:

Prof. Dr. Gerhard de Haan, ein wesentlicher Initiator der BNE in Deutschland, stellte in seinem Impulsvortrag die theoretischen Grundlagen der BNE vor und betonte die Bedeutung von "Backcasting", einem Vorgehen, das von der Vision ausgeht (z.B. von den Sustainable Development Goals) und über die Zukunft 2030 rückwärts zum Jetzt (2025) plant. Dabei überprüften Revisionsschleifen kontinuierlich den Fortschritt und verbleibende Aufgaben. De Haan ist es ein großes Anliegen, dass die häufig vernachlässigte hohe emotionale Aufgeladenheit der BNE-Themen berücksichtigt und nicht ausgeblendet werden dürfe. De Haan forscht mit seinem Team zu den Stärken und Schwächen von BNE in Deutschland und ist wissenschaftlicher Berater der Nationalen Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung des BMBF. Aus seinen Forschungsergebnissen gab er zehn evidenzbasierte Hinweise für wirksame Umsetzung von BNE an Schulen:

  • Erfahrungswelt & lebensweltlicher Handlungsbezug: Lernen sollte authentisch, aktivierend, partizipativ/kooperativ, problemorientiert, emotional entlastend, handlungsorientiert und selbstreguliert sein. Der lokale Bezug ist entscheidend für die Motivation zum Lernen und für Handlungschancen.
  • Lokale Kooperationen stärken: Kooperationen zwischen Schulen und außerschulischen Partnern gelten als wirksamste Maßnahme für eine starke BNE, wenn Verbindlichkeiten hergestellt sind, feste Ansprechpartner vorhanden sind, regelmäßige Zusammenarbeit besteht, Fachkompetenz und methodische Fähigkeiten zusammenkommen und lokale, systematisch gepflegte Netzwerke geschaffen werden.
  • Sozialen Zusammenhalt erfahren: Soziale Kohäsion ist sowohl Voraussetzung als auch Ziel der BNE. Eine Befähigungsstudie besagt, dass Empathie zentral für BNE und ein treibender Faktor für Engagement ist. Sieben der zwölf Teilkompetenzen der Gestaltungskompetenz zahlen auf soziale Kohäsion ein.
  • Wahrnehmungsunterschiede bei Lehrkräften und Lernenden beachten: Es gibt Engagierte, Pessimistische und Zweifelnde. Je mehr Wissen vorhanden ist, desto pessimistischer wird man individuell. Eine Strategie ist es, unterschiedliche Formen des Zugangs zur Nachhaltigkeit zu berücksichtigen und die Gemeinschaftlichkeit zu stärken.
  • Emotionen und Handlungsfähigkeit berücksichtigen: Lernen, Einstellungen und Handeln sind ohne Emotionen nicht denkbar. Je mehr man über die Lage der Welt weiß, desto eher fühlt man sich hoffnungslos und wird handlungsunfähig.
  • Andere machen auch nichts ..: Nicht handelnde Politik und Wirtschaft fördern eine schwache Selbstwirksamkeitserwartung, Ohnmacht und geringes Handlungswissen. Eine Strategie ist die Verbindung von BNE mit Politischer und Ökonomischer Bildung sowie das Unterbreiten von Handlungsangeboten für gemeinsame Aktivitäten.
  • „Ehrliche“ BNE: Dies beinhaltet die Debatte um die Nachhaltigkeitspolitik und die Emotionalisierung der Auseinandersetzungen bei zugleich wahrgenommenem Handlungsdruck bezüglich Risiken, Unsicherheiten und Dilemmata. Nachhaltigkeit bedeutet auch, dass Trade-offs die Regel sind.
  • Wesentlichkeit: Hoffnungslosigkeit und Handlungsunfähigkeit machen die „Wesentlichkeit“ der angegangenen Probleme / Aktivitäten notwendig. Es geht darum, nicht zu individualisieren, sondern gemeinschaftlich zu agieren.
  • Dem Whole School Approach folgen: Dieser Ansatz trägt am stärksten zur Handlungsmotivation bei und bedeutet, eine Schulkultur zu entwickeln, in der man gemeinsam auf Nachhaltigkeit umstellt. Kontinuierliche Thematisierung im Unterricht ist nur ein Merkmal; es bedarf einer „Haltung“ auf Kohärenz, kontinuierliches Lernen, Partizipation, Verantwortung und langfristiges Engagement.
  • BNE = Ad on? Keine Zeit, anderes ist wichtiger: Die Verankerung in den Bildungsplänen ist ein geringes Hindernis, aber BNE bleibt ein „Ad on“. Eine Strategie ist es, die Erkenntnis zu nutzen, dass BNE Zukunftskompetenzen abdeckt und Lernmotivation fördert, und die Unterrichtsstrategie umzukehren, um Fachkenntnisse zu erwerben.

Praxisimpulse

Im zweiten Teil der Veranstaltung schilderte zunächst Prof. Dr. Thomas Hoffmann, Fachleiter für Geographie am Studienseminar Karlsruhe und Dozent am KIT, seine Erfahrungen mit der Umsetzung von BNE in der Schule und seinen Unterrichtsansatz. Sein Engagement liegt in der Verbindung von wissenschaftlicher Forschung, Lehrkräftebildung und schulischer Praxis im Bereich der BNE. 

Er stellt dem häufig durchgeführten problemorientierten Unterrichtsansatz (z.B. mit Einstieg über Bildimpuls Shanghai im Smog) einen lösungsorientierten Unterrichtsansatz gegenüber. Ausgehend von realen Lösungsansätzen (z.B. Einstieg über Werbung einer Firma für eine Maßnahme zur CO2-Reduktion) können Lernende sowohl das zugrundeliegende Problem erforschen, als auch dabei die Qualität des dargestellten Lösungsansatzes beurteilen lernen, um so in einem letzten Schritt produktiv und kreativ weiterzudenken, wie eine verbesserte oder eine weitere Lösung aussehen könnte. Dieser Ansatz führe durch eine qualitativ bessere kognitive Aktivierung zu einer effektiveren Nutzung der Unterrichtszeit, führe zu mehr Handlungspotenzial, weil nicht allzu zeitintensiv nur in der Problemanalyse verharrt werde. Die Aussage Steve de Shazers sei für den veränderten Umgang von Schule und Gesellschaft dabei handlungsleitend: „Das Reden über Probleme schafft Probleme, das Reden über Lösungen schafft Lösungen!“. Hoffmann betonte für den Unterricht die Wichtigkeit, schülernahe (z.B. lokale) reale Themen zu recherchieren und zu erforschen. Dies eröffne die Möglichkeit, dass sich Lernende tatsächlich auch dort aktiv engagieren können und Wirksamkeit erfahren. Eine Sammlung an baden-württembergischen Best Practices zur Nachhaltigkeit finden sich hier.

Zum Weiterlesen: Hoffmann, T. (2025). An Lösungen orientiert unterrichten. Ein Ansatz im Kontext der Bildung für nachhaltige Entwicklung

Katharina Hauser, BNE-Koordinatorin an der ZSL Regionalstelle Schwäbisch Gmünd, berichtete über das bewährte Fortbildungs- und Begleitungsangebot des ZSL, mit dem Schulen BNE-Konzept im „Whole School Approach“ entwickeln können. Das umfangreiche und strukturierte Angebot ihres Fortbildungsteams für die Umsetzung und Verankerung von BNE bewirke, dass die gesamte Schulgemeinschaft neu denke, nicht nur einzelne Fächer. Die gemeinsame Entwicklung von Leitbildern seien dabei sehr hilfreich, um einen gemeinsame Wertekonsens zu schaffen und zu leben. 

Zum Weiterlesen: Wilmans, K. (2021). BNE-Modellschulen: Schulen ganzheitlich für die Zukunft aufstellen. Handreichung zum Projekt „Strukturelle Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) im Whole System Approach in der Region Heidenheim“

Micha Pallesche, Schulleiter der Ernst-Reuter-Schule in Karlsruhe, sprach über die Zunahme an Komplexität und Geschwindigkeit unserer Welt durch Krisen, technische Entwicklungen, die „unbestimmte Räume“ entstehen ließen. Darauf müssten Lernende in einem „maximal bestimmten Raum“, nämlich Schule, vorbereitet werden. Um zu zeigen, mit welchen Mitteln die Ernst-Reuter-Schule dieser Herausforderung begegnet,  stellte Pallesche den „Roten Salon“ vor: Teams aus Schülerinnen und Schülern, Eltern, Lehrkräften und außerschulischen Partnern entwickeln in einem Design Thinking-Prozess Prototypen auf schulische Fragen, um Schulentwicklung gemeinsam zu betreiben. Am „Themenorientierten Arbeiten“ (TheA) der Ernst-Reuter-Schule zeigte Pallesche, wie mit veränderten Lehr- und Lernformen Ressourcen und Räume für vernetztes Denken zwischen Fächern und Themenbereichen geschaffen werden können, um die Lernenden mit den Herausforderungen unserer Gegenwart ins authentische und nachhaltige Handeln zu bringen. Vor allem die Kooperation mit lokalen Partnern schaffe Motivation für lösungsorientiertes Denken und Handeln, so z.B. rund um die Herstellung des schuleigenen Honigs, die Pflege der Bienen in ihrem Habitat und die Vermarktung des Honigs. TheA schaffe Wissensnetze, ermögliche nachhaltiges Lernen, und führe auch zu veränderten Formen der Leistungsmessung wie z.B. mit einem Portfolio. Die Ernst-Reuter-Schule ist aktuell unter den 15 Schulen, die für den Deutschen Schulpreis nominiert sind.

Austausch

In der anschließenden Diskussion zeigten die Teilnehmenden großes Interesse an der konkreten Umsetzung der BNE in der eigenen Schule. Diskutiert wurden unter anderem die Gestaltung von Projekten für BNE im Unterricht und in der Schule, der Umgang mit Widerständen im Kollegium, die Rolle datengestützter Analyseverfahren, zeitliche Ressourcen für Schulentwicklungsprozesse und die Einbindung von Lernenden und Eltern in die Schulentwicklung. Hervorgehoben wurde, dass diese Prozesse eine bewusste Auseinandersetzung mit tieferliegenden Ursachen erfordert – im Gegensatz zu häufig rein reaktiven Problemlösungsstrategien im Schulalltag. Es wurde zudem angemerkt, dass alle Themen wie z.B. Demokratie, Heterogenität, politische Bildung, Ernährung mit BNE zusammengedacht werden müssten.