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06.07.2023

IBBW - Wissenschaft im Dialog - Bildungsgerechtigkeit durch Adaptivität - Next Practice PASST! aus Esslingen und Kanada

Prof. Dr. Anne Sliwka (Universität Heidelberg), Marion Katuric & Alexander Wroblewski

Praxisimpuls (pdf 8,9 MB) von Marion Katuric & Alexander Wroblewski, Seewiesenschule Esslingen

Nutzungsrechte aller Materialien gemäß CC BY-NC-ND 4.0

Im Rahmen eines einleitenden Impulses stellte das Schulleitungsteam der Seewiesenschule in Esslingen, Marion Katuric und Alexander Wroblewski, ihr Konzept zur Implementation adaptiven Unterrichts vor: die „Geschafft-Kultur“. Ausgehend von den Vergleichsarbeiten VERA sei die Frage nach einem feineren Instrument zur Kompetenzorientierung aufgekommen, dass das Lernen der Schülerinnen und Schüler formativ begleitet. Daraufhin wurden Roadmaps konstruiert, die die geforderten Kompetenzen mit adäquatem Differenzierungsgrad definieren sollen. Die Kompetenzraster sind auf mehrere Jahre angelegt. So soll der Lernstand von Schülerinnen und Schülern über ihre gesamte Kompetenzentwicklung akkurat und differenziert erfasst und somit Stärken und Defizite   sichtbar werden können. 

Beim Feedback an die Lernenden zu ihrem Kompetenzstand soll das „Growth Mindset“ angesprochen werden, das immer die Potenziale und Möglichkeiten der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt. Es meldet dementsprechend in den unteren Leistungsbereichen die perspektivisch positiven Tendenzen „noch nicht“ und „fast geschafft“ zurück anstatt ein „nicht bestanden“. Ab 70% gilt eine Kompetenz als „geschafft“. 

Im Unterricht wird auf die unterschiedlichen Lernstände mit „Flexible Grouping“ reagiert, wobei lernstandsbasiert jahrgangsübergreifend leistungshomogene Lerngruppen gebildet werden, um individuell auf deren jeweilige Lernbedürfnisse reagieren zu können. In der Seewiesenschule sind 3 Lehrkräfte für diesen Prozess verantwortlich. Jeder Schülerin und jedem Schüler sollen durch dieses adaptive Vorgehen Erfolgsmomente ermöglicht werden. Außerdem seien der Glaube an die Entwicklungsfähigkeit (Growth Mindset) der Lernenden und das motivierte Vorangehen der Lehrkräfte im Sinne des „Instructional Leadership“ bei der Implementation zentrale Erfolgsfaktoren für den adaptiven Unterricht.

In ihrem Impuls stellte Frau Prof. Dr. Anne Sliwka im Anschluss eine internationale und bildungspolitische Verortung des konkreten Konzepts der Seewiesenschule her. Technologischer Fortschritt, so Sliwka, sei so schnell, dass Bildung nicht hinterherkomme. Dieser Umstand führe zu sozialen Verwerfungen. In einer kurzen Bestandsaufnahme wurde der Fachkräftemangel konstatiert, zusätzlich befindet sich eine beträchtliche Anzahl junger Leute weder in Ausbildung noch in Arbeitsverhältnissen – für Sliwka ein Versagen des Bildungssystems. Es gehe für den Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen nicht um die trennscharfe Schulzuweisungen, sondern vielmehr zunächst um das Erreichen der Mindeststandards, denn es mache keinen Sinn Lernende zu etikettieren, wenn man sie nicht passgenau fördern könne. Die Forschung ist sich darüber einig, dass nur ein verschwindend geringer Anteil an Schülerinnen und Schüler die kognitiven Voraussetzungen zum Erreichen der Mindeststandards nicht erfüllt. Die aktuelle Situation lasse sich demnach auf mangelnde Adaptivität und Passung des Bildungsangebotes zurückführen.

Um das optimale Lernergebnis bei den Schülerinnen und Schüler zu erzielen, müsse Lernen in der individuellen Zone der nächsten Entwicklung stattfinden, also im Anforderungsbereich, der weder über- noch unterfordernd ist. Explizit fordert Sliwka eine Veränderung der Leistungsbewertung – weg vom großen summativen Assessment am Schuljahresende, hin zum formativen Assessment. Dabei betont sie die Notwendigkeit positiver Formulierungen. Leistungsbewertung müsse den Lernenden dienen. Demzufolge sei die Wahl der sozialen Bezugsnorm der Lerngruppe veraltet und nicht für ein inklusives Bildungssystem geeignet. Stattdessen sollen für das Assessment nur die individuellen und kriterialen Bezugsnormen herangezogen werden. Negatives Feedback solle verhindert werden, da es einen Effekt auf das Selbstbild und damit auf die Leistungsentwicklung habe. 

Wie Adaptivität in Schulen implementiert werden kann, stellt Sliwka anhand von Schulen im Ausland (u.a. Kanada) dar. Im Gegensatz zu VERA geschehe dort die Lernausgangserhebung möglichst früh im Schuljahr, damit adäquat auf die jeweiligen Bedarfe reagiert werden könne. Darauf folgten gegebenenfalls Elterngespräche mit wechselseitigen Absprachen und eine Förderplanung. Mit „Flexible Grouping“ werde dann versucht, eine optimale Förderung zu erzielen. Gruppen würden dabei sogar teilweise nach Interessen gebildet und selbst die Inhalte seien adaptiv. Wirksame Schule, merkt Sliwka an, funktioniere nur noch im Team.

Frau Prof. Dr. Anne Sliwka stellte außerdem noch kurz den Ansatz des „Deeper Learning“ vor, bei dem Aneignung von Lerninhalten und Kompetenzen sowohl durch instruktiv gesteuerte Prozesse als auch durch Ko-Konstruktion und Ko-Kreation geschieht, und bringt es mit Adaptivität in Verbindung.

Aus der anschließenden Diskussion geht vor allem die Notwendigkeit für eine Top-Down-Struktur zur Implementation von Adaptivität hervor.

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