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19.10.2023

IBBW-Wissenschaft im Dialog: Durchgängige Sprachbildung ist Empowerment - nichts weniger!

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Ingrid Gogolin und viele weitere

Impuls Prof. Gogolin Durchgängige Sprachbildung ist Empowerment – nichts weniger! (pdf 3,3 MB)

Beitrag (pdf 1,4 MB) Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg von Frau Otte und Frau Appuhn-Billion 

Fokusangebot 1 Entwicklung von Schulkonzepten
zur durchgängigen Sprachbildung (pdf 4,1 MB) von Niklas Gramich (Paracelsus-Gymnasium Hohenheim, Stuttgart)

Fokusangebot 2 Sprachsensible Haltung im Fachunterricht (pdf 2,1 MB) von Hartmut Quiring (ZSL)

Fokusangebot 3 Durchgängige Sprachbildung ist Empowerment auch in Kitas (pdf) Elke Andersen (Jugendamt Stadt Stuttgart) 

Fokusangebot 4 Durchgängige Sprachbildung (DS) in Freiburg: Gelingensfaktor Sprachfachkräfte (pdf 2,5 MB) von Hartmut Allgaier und Manuela Müller (Stadt Freiburg)

Fokusangebot 6 Sprache+ schafft Chancen Netzwerk für durchgängige Sprachbildung (pdf) von Isabel Platz (ZSL)

Fokusangebot 7 Starke BASIS! – Durchgängige Sprachbildung in der Sekundarstufe I (pdf 5 MB) von Elke Schnaithmann (ZSL)

Fokusangebot 8 Sprachbildung im Referenzrahmen Schulqualität ein Unterstützungsangebot (pdf 3 MB) von Fatima Chahin-Dörflinger (Institut für Bildungsanalysen Baden-Württemberg (IBBW))

Nutzungsrechte aller Materialien gemäß CC BY-NC-ND 4.0


Kurzbericht Impulse und Diskussion

Frau Prof. Gogolin verdeutlichte direkt zu Beginn ihres Vortrags in einem kurzen Ausschnitt einer Erarbeitungsphase im Klassenzimmer die gelebte mehrsprachige Praxis an Schulen. Sie zeigte die aktive Nutzung mehrerer Sprachen durch die Schülerinnen und Schüler, die aber von der Lehrkraft nicht wahrgenommen wurde. Sprachenvielfalt müsse, so Gogolin, als der Normalfall anerkannt werden und es müsse das Ziel sein, alle vorhandenen Sprachen zur Sprachbildung zu nutzen. Migration fungiere dabei zwar als Sprachenvielfaltsmotor, allerdings gelte es, das Konzept der durchgängigen Sprachbildung nicht auf Migrationskontexte zu begrenzen. 

Da Kenntnisse über den Spracherwerb nötig sind, um dieses Ziel zu verfolgen, schloss sich ein kurzer Exkurs an: Während der „natürliche“ Spracherwerb auf Sprachkontakt in der Familie und im privaten Umfeld beruht und vorwiegend mündlich geschieht, werden die sprachlichen Fähigkeiten in Institutionen vom Intuitiven zum Kognitiven, vom Impliziten zum Expliziten, vom Mündlichen zum Schriftlichen und somit von BICS (basic interpersonal communicative skills) zu einer CALP (coginitive academic language proficiency) erweitert. Das kognitive Potential der Kinder und Jugendlichen hierbei zu nutzen und weiter auszubauen, sei Sprachbildung. Wichtig sei für die Sprachbildung im Zusammenhang mit Spracherwerb zudem zu berücksichtigen, dass Sprachenlernen stets auf bisherigen (auch mehrsprachigen) Spracherfahrungen beruht und diese integriert. 

Im Anschluss stellte Prof. Gogolin das Konzept der Durchgängigen Sprachbildung vor. „Durchgängig“ beziehe sich dabei auf drei Dimensionen: Zum einen soll möglichst ein Sprachbildungskonzept (mit sukzessiven Erweiterungsbausteinen) die gesamte Bildungsbiografie eines Lernenden durchziehen. Zum anderen könne niemals eine Institution allein für die Umsetzung dieses Konzepts verantwortlich sein. Ziel ist daher, dass sowohl die Schule als auch die Familie und Akteure außerschulischer Angebote gleichzeitig am Sprachbildungskonzept mitarbeiten. Die dritte Dimension sei die schon zuvor dargestellte Mehrsprachigkeit und das Wissen über den Spracherwerb. Als weiterer Gelingensfaktor seien zudem Kenntnisse über die Einflussfaktoren auf erfolgreiches Lernen notwendig. Daher wurde das INVO-Modell (Individuelle Voraussetzungen erfolgreichen Lernens; Hasselhorn & Gold 2006) kurz vorgestellt. 

Ein Konzept der Durchgängigen Sprachbildung für ALLE Schülerinnen und Schüler berge die Herausforderung der Diagnostik. Sprache ist Grundlage (fast) allen Lernens: Die sprachliche Kompetenz müsse daher kontinuierlich beobachtet werden. Die Kompetenzen der Lernenden in einer bestimmte Sprache in einem bestimmten Fach einschätzen zu können, ermögliche erst zielgerichtete z.B. unterrichtliche Maßnahmen. Förderbausteine (Förderung nach Diagnostik als zeitlich-befristete, spezifische Unterstützung!) können im Rahmen der Sprachbildung immer wieder genutzt werden, um festgestellte Lücken zu schließen. 

Als Merkmale einer erfolgreichen Sprachbildung nannte Prof. Gogolin zum einen allgemeine Merkmale von Schul- und Unterrichtsqualität. Zum anderen sei es zentral, alle Lehrkräfte an der systematischen Sprachbildung zu beteiligen und sich auf gemeinsame Strategien zur Förderung von Schul- und Bildungssprache zu einigen. Folgendes methodisches Vorgehen habe sich hierbei bewährt: In den wechselnden sprachliche Anforderungen im Unterrichtsverlauf könne Mehrsprachigkeit als systematisches Element genutzt werden. In der Praxis bedeute dies: Werde etwas Neues und somit kognitiv Herausforderndes gelernt, werde die Anforderung an die sprachliche Leistung gesenkt. Im Anschluss werden die angemessenen sprachlichen Mittel zur Bewältigung dieses Problems zum Gegenstand des Unterrichts gemacht. Als weitere Merkmale erfolgreicher Sprachbildung nannte Gogolin die Methode des Scaffoldings und die Anerkennung und Nutzung der Familiensprachen. 

In Bezug auf die Dimensionen einer Durchgängigen Sprachbildung in BW betonte Prof. Gogolin, sie sehe das Land Baden-Württemberg auf einem guten Weg, insbesondere in Bezug auf die Schulentwicklung und Qualifizierung von Lehrpersonal. Allerdings könne sowohl der Aspekt der Mehrsprachigkeit weiter ausgebaut werden, indem sprachliche Erfahrungen von Lernenden integriert würden (inklusive regionaler Dialekte) als auch die Zusammenarbeit mit außerschulischen Akteuren und den Familien konkreter in den Blick genommen werden. 

Zum Abschluss ihres Vortrags formulierte Prof. Gogolin ihre Wunschvorstellung von durchgängiger Sprachbildung: Mehrsprachigkeit als allgemeines Bildungsziel.  


Frau Otte und Frau Appuhn-Billion vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg beleuchteten im Folgenden das eher systematische und verwaltungsbezogene Verständnis der durchgängigen Sprachbildung in Baden-Württemberg.  

Nach einem statistikbezogenen Einstieg zum Anteil der Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, den zuwanderungsbezogenen Disparitäten sowie den Sprachkompetenzen, ging Frau Otte auf das Angebot der VKL- und VABO-Klassen an den verschiedenen Schularten sowie auf die personelle Situation ein. Im Anschluss stellte Frau Otte die Aufgaben einer am Kultusministerium neu gegründeten Arbeitsgemeinschaft Durchgängige Sprachbildung vor: 

Die AG setze am von Prof. Gogolin vorgestellten Modell der Durchgängigen Sprachbildung an und habe daher zum Ziel, die verschiedenen Dimensionen der Durchgängigkeit zu berücksichtigen. Bestehende Angebote sollen verzahnt und neue konzipiert werden. Dabei liege ein Augenmerk, so Otte, auf den Diagnose- und Förderinstrumenten. Die wissenschaftliche Fundierung der Arbeitsschritte ist dabei stets zentral. Die AG gliedere sich aktuell in drei Untergruppen: Während sich eine Gruppe mit der Maßnahme der Leseförderbänder in der GS beschäftigt, erarbeitet eine weitere eine Rahmenvorgabe für die Durchgängige Sprachbildung und eine dritte fokussiert das Thema VKL. 

Die AG zur „Erstellung einer Rahmenvorgabe Durchgängige Sprachbildung“ wurde von Frau Appuhn-Billion kurz vorgestellt: Dort werde eine Rahmenvorgabe zur Orientierung und Unterstützung der Schulentwicklung unter Berücksichtigung der Dimensionen der Durchgängigen Sprachbildung geplant. Um die kontinuierliche Sprachbildung zu gewährleisten, würden stets die vier Ebenen – die Lernenden, die Lehrkräfte, die Schulen und die Bildungsadministration – zusammengedacht. Angelehnt an den Referenzrahmen Schulentwicklung werde dabei in die Bereiche der Unterrichtsentwicklung und der Schulentwicklung gegliedert. Insbesondere dem Übergängen soll im Konzept besondere Beachtung zukommen. Formal sei eine klare Darstellung für die praktische Umsetzung Ziel der Erarbeitung der digitalen Rahmenvorgabe. Die Konzeption als kontinuierlicher Prozess solle ein sukzessives Andocken weiterer Bereiche, wie beispielsweise der frühkindlichen Bildung oder der Aus- und Weiterbildung, ermöglichen. Die praktischen Erfahrungen des Schulnetzwerks der Zukunftsschulen Sprache+ (ehemals Wege_In) werden als Unterstützung genutzt und geschätzt. 

Die Gesamtkonzeption Durchgängige Sprachbildung sei im Feld der Bildungsgerechtigkeit verankert und gliedere sich somit in bereits vorhandene Maßnahmen und Modellversuche ein, wie beispielsweise die sozialindexbasierte Ressourcensteuerung, multiprofessionelle Teams, oder auch das neue Pilotprojekt zu herkunftssprachlichen Lernkursen. 


Zentrale Aspekte und Denkanstöße für ein baden-württembergisches Konzept zur Durchgängigen Sprachbildung aus der Podiumsdiskussion

  • Andrea Haag (Bereichsleitung Kindertagesbetreuung beim Träger Jugendamt Stuttgart, Themenschwerpunkt Sprachbildung und –förderung)
  • Annemarie Mayr-Laible (Schulleiterin am Max-Planck-Gymnasium, Heidenheim)
  • Hartmut Allgaier (Kommunales Bildungsmanagement, Freiburg)
  • Dr. Dr. h.c. mult. Ingrid Gogolin (Professorin für International und Interkulturell Vergleichende Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg mit den Forschungsschwerpunkten Mehrsprachigkeit und Bildungsforschung)
  • Birgit Otte (Feedbacknehmende, Referatsleiterin Referat 25, Kultusministerium)
  • Dr. Günter Klein (Moderation, Direktor des IBBW)

Haag:

  • Übergänge und deren Ressourcenbedarf sollten besonders beachtet werden 
  • Sprachfachkräfte mit Expertise in die Schulen bringen

Mayr-Laible: 

  • Alle Lehrkräfte brauchen Kompetenz für Sprachbildung und nicht nur die VKL-Lehrkräfte 
  • Wunsch nach stabilen Rahmenbedingungen – festverankerte Maßnahmen, z.B. VKL-Klassen, die nicht jedes Jahr neu beantragt werden müssen und somit Fachkräfte als fixe, planbare Komponente 

Hartmut Allgaier:

  • Kooperation aller Akteure ist zentral: In Freiburg werden in sogenannten Modellverbünden innerhalb der Quartiere alle Akteure vernetzt
  • Nicht nur Lernende mit Fluchterfahrung sollten mitgedacht werden, sondern alle
  • Sprachfachkräfte mit Expertise als Gelingensfaktor
  • Bildungsregionen sollten im BW-Konzept der Durchgängigen Sprachbildung mitgedacht werden

Prof. Ingrid Gogolin: 

  • Einigung auf ein Konzept und dann arbeitsteilig vorgehen. 
  • Grundfehler der deutschen Bildungspolitik: Denken in „Notmaßnahmen“. Dies sei nicht sinnvoll, da die Herausforderungen der letzten Jahre zeitlich nicht begrenzt seien. Diese „Notmaßnahmen“ müssten daher in den Bildungsalltag fest integriert werden, sodass eine ordentliche Diagnostik und passende Maßnahmen über die gesamte Bildungsbiografie von Lernenden möglich werden. 
  • Ansätze für Lehrkräfte: Enge Zusammenarbeit, um sich auf Konzepte und Definitionen zu verständigen, die dann eine klare Kommunikation über Sprachförderung und Sprachbildung ermöglichen 
  • hochwertige Ausbildung der Fachkräfte


Weitere Beiträge aus dem Plenum inkl. Chat

  • Starke BASIS!: Angebot an alle interessierte Lehrkräfte 
  • Wichtigkeit einer definitorischen Einigung auf Konzepte wie z.B. „Sprachbildung“ und der Entwicklung von Standards 
  • Qualifizierung von so genannten Seiteneinsteigern sicherstellen
  • Module am Seminar Esslingen zur Deutsch als Zweitsprache und Sprachbildung in allen Fächern als Grundlage einer Qualifizierung der Lehrkräfte
  • Sprachlicher Förderbedarf als Regelfall und nicht als Ausnahme, insbesondere nicht als ausschließliche Herausforderung von Lernenden mit Deutsch als Zweitsprache
  • Mehrsprachigkeit als Schatzkiste, die es zu öffnen gilt
  • Qualifizierung von Schulleitungen für große Schulentwicklungsthemen
  • Die komplementäre Beratung der Schulen, bestehend aus Fach- und Schulentwicklung sind ein tolles Instrument.
  • fachliche Entrümpelung von G8-Bildungsplan und Platz für Sprachförderung im Fach schaffen
  • Für die Verantwortung von Schule zu bedenken, es gibt viele Kinder, die nicht in die Kita gehen. Sie starten mit sprachlicher Förderung dann erst in der GS.
  • Eine Kooperation zwischen Sprachfachkräften der Einrichtung und der Grundschule wäre ein guter Zugang für die Durchgängigkeit. 
  • Fachkräfte einplanen, die den Übergang in die beruflichen Schulen betreuen
  • Sensibilisierung für Sprachförderung und Sprachbildung durch alle Lehrkräfte für alle Lernenden, vor allem im Selbstbild der gymnasialen Lehrkräfte
  • Hochschulen mitdenken! Die entsprechenden Rahmenregelungen für die Studiengänge geben das derzeit noch nicht her (Stichwort Erweiterungsfach) und die entsprechenden Fachinstitute hätten für eine Ausbildung in der Breite die entsprechenden Ressourcen nicht. Bei uns an den Hochschulen werden die Lehrer:innen von morgen und übermorgen ausgebildet, die die Kompetenzen direkt in die Schulen mitbringen können.
  • DaZ nicht mehr nur als eine freiwillige Zusatzausbildung
  • DaZ-Lehrkräfte auch mit ihrer Expertise einsetzen
  • BA und MA-Abschlüsse im Fach Deutsch als Zweitsprache in den Schulen einsetzen
  • schulartübergreifende Fortbildungen 
  • Wie können viele weitere Kitas erreicht werden und mit Sprachfachkräften ausgestattet werden? Wie können im frühpädagogischen Bereich die Funktionsstellen stärker verankert und auch entlohnt werden nach einer Qualifizierung (angelehnt an Sprachkitas), welche Möglichkeiten bietet hier das Ministerium und/oder auch Träger? Verstetigung und Perspektive für die Fachkräfte fehlt noch! Es stellt sich auch die Frage wie kann hier Kolibri weitergedacht und eindeutig alltagsintegrierter implementiert werden?


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