22.11.2022
Nachgefragt: Wirksamer Unterricht – Sprachliche Bildung im Fachunterricht: Kein Kann, sondern ein Muss
Prof.‘in Dr. Zeynep Kalkavan-Aydın (Pädagogische Hochschule Freiburg)
Praxisimpuls (pdf) von Markus Sterk (PH Freiburg)
Praxisimpuls (pdf 2,4 MB) von Candy Simon (ZSL Schwäbisch Gmünd)
Nutzungsrechte aller Materialien gemäß CC BY-NC-ND 4.0
Wissenschaftlicher Impuls
Frau Prof. Dr. Kalkavan-Aydin stellt gleich zu Beginn ihres Beitrags klar, dass Sprache sowohl Medium als auch Gegenstand jedes Unterrichtsfachs sei, daher existieren in jedem Fach spezifische Anforderungen. Konzeptuelles Lernen würde im Fachunterricht durch die Integration sprachlicher Repräsentationen von schülerseitigen Präkonzepten stattfinden, explizit durch die Reflexion über Alltags- und Fachsprache auf Wort-, Satz- und Textebene.
Der Sprachgebrauch stelle in jedem Fach hohe Anforderungen an die Lernenden. Im Unterricht würden Schüler und Schülerinnen beim Lernen auf unterschiedliche sprachliche Register, auf Bildungs- oder Alltagssprache, zugreifen. Daher sei es von Bedeutung ein sprachliches Registerbewusstsein früh zu fördern sowie die Registersensibilität und -kompetenz der Schülerinnen und Schüler zu stärken.
Anhand des Beispiels eines Schülerinnentextes zeigte die Referentin die Schwierigkeiten der Lernenden. Beim Verstehen sowie Verwenden von Sprache müssten Schülerinnen und Schüler kognitiv aktiv sein, um Sprachhandlungen im Fachunterricht benennen und richtig verwenden zu können. Ihnen müsse nicht nur eine gewisse Fachlexik bekannt sein, sondern sie müssten auch ein Verständnis von Sprachstrukturen aufweisen sowie Grundwissen zu Textmustern besitzen. Diese Herausforderungen seien nicht nur in schriftlichen Aufgaben vorzufinden, sondern auch in mündlichen.
Die Frage, wie eine effektive Förderung im sprachsensiblen (Fach-)Unterricht gelingen kann, beantwortete Frau Prof. Dr. Kalkavan-Aydin unter Rückgriff auf die Basisdimensionen wirksamen Unterrichts (konstruktive Unterstützung, kognitive Aktivierung, effektive Klassenführung). Im Sinne der konstruktiven Unterstützung solle von der Lehrkraft laufend überprüft werden, wo die einzelnen Lernenden gerade in der sprachlichen Entwicklung stünden. Außerdem solle die Lehrkraft mit sprachlichen Fehlern konstruktiv umgehen und sprachliche Hilfestellungen nutzen, um die Schüler und Schülerinnen beim Lernen zu unterstützen. Die kognitive Aktivierung solle auch berücksichtigt werden, beispielsweise indem sich die Lehrkraft die Frage stellt, wie sprachliche Hilfestellungen/Unterstützungen kognitiv aktivierend gestaltet werden, damit Unterricht am individuellen Leistungsstand ansetzen kann. So soll das Erreichen des nächsten Lernschrittes möglich werden. Im Rahmen einer effektiven Klassenführung geht es um Fragestellungen wie: Welche (evtl. auch mehrsprachigen) Materialien werden benötigt oder wann und an welcher Stelle ist es zielführend, die Erstsprache(n) einzubeziehen? Oder wie wird die Erstsprache einbezogen?
Die Referentin betonte außerdem, dass sprachliche Bildung sich nicht nur auf schulische Registervielfalt beziehen würde, sondern darüber hinaus auch auf die im Beruf notwendige Kompetenz. Dazu zog sie Beispiele für sprachliche Handlungen im Beruf heran, wie zum Beispiel die Kommunikation mit Vorgesetzten oder Kunden. Somit sei das Thema auch in der beruflichen Bildung zentral.
Frau Prof. Dr. Kalkavan-Aydin beendete ihren Vortrag, indem sie Take-Home Messages für lernwirksame Ansätze vorstellte.
Praxisimpulse
Markus Sterk zeigte in seinem Praxisimpuls anhand einer Textaufgabe aus dem Fach Geographie, dass in einem recht kurzen Aufgabentext bereits viele Fachbegriffe und herausfordernde grammatische Phänomene wie z.B. passive sowie trennbare Verben, auftreten. Dies würde es den Lernenden schwermachen, den Text zu verstehen. Herr Sterk betont daher die Bedeutung einer Auseinandersetzung der Lehrkraft mit Schulbuchtexten, bevor sie verwendet werden. Dazu stellt er einen selbstentwickelten „Text-Check-Fächer“ vor.
Frau Vins demonstrierte mit einer Textaufgabe aus dem Fach Mathematik, wie missverständlich und unklar Aufgaben sprachlich sein
können. Lernende müssten in den Stand versetzt werden, Worte aus dem Text zu identifizieren, diese mit den korrekten
mathematischen Operatoren zu assoziieren und daraufhin die Rechenoperation auszuführen. Dazu seien möglichst eindeutig
formulierte Texte notwendig.
In ihrem Beitrag verweist Frau Vins darauf, dass Schülerinnen und Schüler zunächst überhaupt den Umgang mit Fachtexten
erlernen müssten. Das bedeutet, sie müssen herausfinden, wie Informationen in Texten wiederaufgenommen sowie miteinander verwoben
werden und wie auf Vorwissen und mathematische Denkweisen in den Texten Bezug genommen wird.
Frau Simon stellte in ihrem Beitrag zunächst Einflussfaktoren auf den Zweitspracherwerb vor, dabei bezog sie sich vor allem auf Sprachreflexionen auf Grundlage der Erstsprache. Sie schlägt vor, die Lernenden dazu zu ermutigen, ihre Herkunftssprache für vergleichende Überlegungen zu nutzen, um so Sprachbewusstsein zu entwickeln. Neben der Nutzung der Mehrsprachigkeit von Lernenden, stellte Frau Simon weitere Mikromethoden vor, die kleine Schritte in den sprachsensiblen Fachunterricht sein können, wie die Nutzung von offline Übersetzungsapps, zweisprachigen Wörterbüchern oder eines Operatorentrainings.
Diskussionsrunde
In der abschließenden Diskussionsrunde wurden Themen aufgegriffen wie
- die Herausforderung Fachlehrkräfte breit für den sprachsensiblen Unterricht zu sensibilisieren;
- den Umgang mit Vokabelarbeit zwischen Selbstregulierung und Lehrkraftaktivität;
- Sprachförderung im Sportunterricht und die Chance in einer sprachanregenden Umgebung durch Bewegung das Verstehen und Lernen zu unterstützen;
- sprachsensibler Unterricht und das Prinzip der vollständigen Handlung im berufsbildenden Bereich;
- sprachliche Hilfestellungen in Leistungsfeststellungen.