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30.01.2025

„Guter“ Unterricht: Was lernen wir aus der sonderpädagogischen Perspektive?

PD Dr. Anja Theisel, Prof. Dr. Birgit Werner, Steffen Heckele

Vortrag Guter Unterricht: Was lernen wir aus sonderpädagogischer Perspektive? (pdf 2,1 MB)

Nutzungsrechte aller Materialien gemäß CC BY-NC-ND 4.0

Kurzbericht

Am 30.01.2025 fand die 40. Veranstaltung von "Wissenschaft im Dialog" (WiD) statt, die sich der Frage widmete, was guten und wirksamen Unterricht aus Perspektive der Sonderpädagogik ausmacht. Die Sonderpädagogik finde in der allgemeinen Diskussion dabei oft zu wenig Beachtung konstatierten die Referierenden Dr. Anja Theisel (Seminar für Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte Heidelberg), Prof. Dr. Birgit Werner (Pädagogische Hochschule Heidelberg) und Herr Steffen Heckele (Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung, ZSL). Sie haben den 11. Band der IBBW-Reihe Wirksamer Unterricht „Wirksamer Unterricht aus der Perspektive der Sonderpädagogik“ verfasst.

Zu Beginn beleuchtete Professorin Dr. Birgit Werner aktuelle bildungspolitische Herausforderungen. So wurde unter anderem der anhaltende Fachkräftemangel in allen Bundesländern thematisiert sowie die Frage, wie inklusive Bildungsangebote gestaltet werden können. Weitere Themen umfassten kompetenzorientierte Abschlüsse, die Vermittlung basaler Kompetenzen und die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Lernstand der Schülerinnen und Schüler. Zentral war die Frage, wann Unterricht wirksam werde, und ob diese Wirksamkeit gleichermaßen für alle Schülerinnen und Schüler zutreffe.

Steffen Heckele gab einen Einblick in die Entwicklung sonderpädagogischer Konzepte in den vergangenen Jahren. Ein wichtiger Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit dem Thema Wirksamer Unterricht in der Sonderpädagogik war ein zurückliegendes ausführliches Fachgespräch zum Unterrichtsfeedbackbogen (UFB). Dadurch wurde deutlich, dass die Qualitätsmerkmale guten Unterrichts auch aus sonderpädagogischer Sicht grundlegend gültig sind. Jedoch sei es aus sonderpädagogischer Sicht wünschenswert, die individuellen Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler stärker in den Blick zu nehmen.

Prof. Dr. Birgit Werner stellte das Konzept des Unterrichtsfeedbackbogens (UFB) vor, der als wissenschaftlich fundiertes Beobachtungsinstrument dient, um die Tiefenstrukturen des Unterrichts messbar zu machen. Der UFB sei kein Instrument zur Leistungsmessung, sondern diene in der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften in allen Phasen der Lehrkräftebildung, als auch zur individuellen Selbstreflexion sowie zur Unterrichtsvor- und nachbereitung. 

Ein fiktives Fallbeispiel veranschaulichte die Herausforderungen im sonderpädagogischen Unterricht und zeigte zugleich Chancen und Grenzen des UFB auf. Es zeigte, wie wichtig es ist, Lernangebote individuell anzupassen und Schülerinnen und Schüler kognitiv zu aktivieren. Im Folgenden ergänzte Dr. Anja Theisel eine detaillierte Betrachtung der Tiefenstrukturen durch das Aufzeigen von weiterführenden Gedanken mit Blick auf die Sonderpädagogik: 

  • Strukturierte Klassenführung: Störungsmanagement, Zeitnutzung, Monitoring. Hinweis: Unterrichtsstörungen werden durch 1 Item „Unterricht verläuft störungsfrei“ gemessen, der effektive Umgang mit Störungen werde jedoch vernachlässigt
  • Kognitive Aktivierung: Denkweisen der Schüler erkennen, Herausforderungen bieten. Hinweis: Fokus in der Sonderpädagogik liege besonders darin, die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand zu wecken, eine wichtige Voraussetzung für die kognitive Aktivierung
  • Konstruktive Unterstützung: Feedback, Wertschätzung, Klassenklima. Hinweis: Fokus in der Sonderpädagogik auf Beziehungsarbeit

Die angeführten Überlegungen sind in die Weiterentwicklung des auf dem UFB basierenden Instruments "Fokus Unterrichtsbewertung" eingeflossen, dessen Ziel die Entwicklung eines gemeinsamen Qualitätsverständnisses von Unterricht ist. Ein Einsatz könne nicht nur in Lern- sondern auch in Leistungssituationen über verschiedene Schularten hinweg erfolgen. 

Die Diskussion zeigte unterschiedliche Perspektiven auf den Einsatz des Unterrichtsfeedbackbogens in der Praxis. Besonders hervorgehoben wurde, dass Störungen neben Lern- und Entwicklungschancen für Schülerinnen und Schüler auch als Feedback für Lehrkräfte dienen können. Zudem wurde betont, dass Sichtstrukturen (z. B. Raumgestaltung) nicht vernachlässigt werden dürfen, da sie eine wichtige (wenn auch nicht hinreichende) Voraussetzung für die Tiefenstrukturen seien.

Steffen Heckele stellte heraus, dass die Sonderpädagogik das Ermöglichen von Teilhabe als zentrales Bildungsziel verfolge: Es gehe darum, für die individuellen Schülerinnen und Schüler Wege zu finden, wie sie erfolgreich lernen können. Die Sonderpädagogik stelle dabei Beziehungsarbeit, die Förderung sozialer Kompetenzen und die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Lernstoff in den Fokus. Demnach gehe es auch darum, bestmögliche individuelle Entwicklung zu ermöglichen. Kontrastierend wird beschrieben, dass die empirische Bildungsforschung eher ergebnisorientiert und mit Blick auf Leistungsbewertung arbeite, ohne dabei individuelle Lernvoraussetzungen zu berücksichtigen. Dennoch waren sich die Referierenden einig, dass die Sonderpädagogik nicht im Gegensatz zu den Erkenntnissen der empirischen Bildungsforschung stehe, sondern den Blick noch schärfen und erweitern könne.

Prof. Dr. Birgit Werner stellte die geplante bundesländerübergreifende empirische Prüfung des weiterentwickelten Instruments „Fokus Unterrichtsbewertung“ vor. Universitäre Forschungsgruppen der Universität Oldenburg und der PH Heidelberg evaluieren derzeit, ob das Instrument „Fokus Unterrichtsbewertung“ empirischen Standards entspreche und wie er weiterentwickelt werden könne. Die Ergänzung um Items aus sonderpädagogischer Sicht soll methodisch eruiert werden. Interessierte können sich per Mail unter unterrichtsfeedback.sopaed(at)uni-oldenburg.de zur Online-Teilnahme anmelden. 

Die Veranstaltung schloss mit einer Reflexion über die Bedeutung von sonderpädagogischen Erkenntnissen für die empirische Bildungsforschung. Es wurde betont, dass die individuelle Entwicklung und Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler als zentraler Aspekt in die Diskussion um guten Unterricht einfließen müsse. Sonderpädagogik biete hier wertvolle Impulse, um Unterricht nicht nur standardisiert, sondern auch individuell und inklusiv zu gestalten.